»

Jede Krise ist ein
produktiver Zustand.«

»Wo verstecken sich
Belohnungsreize und wie
abhängig sind wir wirklich?«

Versteckte Köder – Dr. med. Heike Melzer

»Ein Blick auf den
digital beschleunigten Sex
des 21. Jahrhunderts ....«

Panikstörungen

1. Einleitung

Die Attacke

Die erste Panikattacke ist meist ein ganz entsetzliches Erlebnis: Der Puls geht hoch, das Herz rast, der Kreislauf spielt verrückt, Schweißperlen stehen auf der Stirn, die Knie zittern, Schwächegefühle durchwandern den Körper und im Kopf bilden sich Nebelschwaden oder Schwindelgefühle. Die wenigen klaren Gedanken, die noch übrigbleiben, sind „Um Himmels willen – ich sterbe, ich muss sofort zum Arzt, ich falle um, das halte ich nicht aus und wenn es so weiter geht, werde ich verrückt“. So oder so ähnlich ist die Grunderfahrung.

Der Teufelskreis

Panik ist etwas anderes als Furcht; sie ist ein sich pfeilschnell aufschaukelnder Prozess, ein Teufelskreis, der sich verselbstständigt hat. Dieser Teufelskreis hat seine Wurzeln in der eigenen Lebensgeschichte, beruht manchmal auf einer körperlichen Bereitschaft zu schnellem Erregungsaufbau und wird meistens in Schwung gehalten durch eine übersensible Wahrnehmung für vermeintliche oder tatsächliche Fehlregulierungen körperlicher Abläufe. Dadurch werden Erwartungen aufgebaut, die schon bei den ersten Anzeichen unangenehmer körperlicher Veränderungen zur Annahme schrecklicher gesundheitlicher Konsequenzen führen. Der bewusste Teil des Ablaufs beginnt bei der Wahrnehmung körperlicher Veränderungen, die oftmals infolge von Angst- oder Ärgergefühlen auftreten und dann jäh anwachsen. Der Anfall beginnt wie „aus heiterem Himmel“, weil für die Betroffenen kein Anlass zu sehen ist. Da aus der Umwelt keine Gefahr droht, die die massive Erregung erklären könnte, wird sie notwendigerweise im eigenen Körper gesucht: Man meint, von einer lebensbedrohenden Krankheit befallen zu sein.

Die Angst vor der Angst

Erreichen die Leidtragenden endlich den Arzt, kann dort meistens nicht mehr viel festgestellt werden. Beruhigungsmittel helfen vorübergehend, gezielt eingesetzte Psychopharmaka nutzen eine Zeit lang, lösen aber nicht das Problem. Wenn nach eingehender medizinischer Abklärung zur Psychotherapie geraten wird, haben nicht wenige Betroffene eine kleine Odyssee durchs Gesundheitswesen hinter sich gebracht und dabei ein weiteres Merkmal erworben: die Angst vor der Angst. Sie ängstigen sich nun noch zusätzlich wegen diverser Vorstellungen, wann und wo die Angstanfälle auftreten werden und wie scheußlich das sein wird. Die Angst vor der Angst tritt als Folge der vergeblichen Bemühungen auf, die akuten Angstanfälle zu beseitigen oder sie wenigstens unter Kontrolle zu bringen. In der Konsequenz werden dann Plätze, Kinos, Kneipen, Restaurants, Versammlungen, Konferenzen, Ausflüge, Zug- und Autofahrten gemieden, all jene Orte oder Tätigkeiten also, an denen oder bei denen schon mal eine Panik aufgetreten ist. Doch nicht alle Paniken treten unter bestimmbaren Umständen auf, viele sind nicht vorherzusehen.

Furcht und Wut

Furcht und Panik sind keineswegs dasselbe. Furcht ereilt einen bei einer akuten Bedrohung von außen; Panik kann einen in einer Warteschlange an der Kasse eines Kaufhauses jäh überfallen. Furcht ist eine sinnvolle Reaktion, Panik – auf den ersten Blick – aber nicht. Dennoch verleitet sie genauso zur Flucht, als wäre Furcht aufgetreten. Die Furcht ist bekanntlich eine elementare Emotion, gleiches gilt für die Wut; beide treten bei Menschen und bei Tieren auf und sind biologisch nützliche Reaktionen, die im Laufe von Jahrtausenden entstanden sind. Bei Signalen der Bedrohung bereitet sich ein Organismus auf zwei grundlegende Reaktionsmuster vor: auf Kampf oder Flucht. Säugetiere in freier Wildbahn müssen bei Gefahr blitzschnell reagieren – entweder kämpfen oder flüchten. Beides kann lebensrettend sein. Auch in unserer zivilisierten und hektischen Welt ist ein gewisses Maß an Wut und an Furcht biologisch sinnvoll. Ist man beispielsweise mitten auf der Straße, und ein Auto rast auf einen zu, dann ist schnelle Flucht lebensrettend. Wieso kommt es aber zur Panik mitten im Kaufhaus?

Die Entwicklung

Panik bricht oft in einer Situation aus, die eine Tendenz hat, sich zu wiederholen und die sich weder durch Kampf noch durch Flucht dauerhaft beseitigen lässt. Es ist meist nicht leicht zu erkennen, dass diese Situation auch noch thematisch vorstrukturiert ist, dass sich darin also ein Thema aktualisiert, das eine längere Entstehungsgeschichte hat. Erscheinen weder Kampf noch Flucht als möglich oder als sinnvoll, dann stellen sich bei dafür disponierten Personen einerseits eine Übererregung, andererseits eine Blockierung ein. Die Übererregung beruht wohl auf einer rasch anspringenden, rasanten Verbindung zwischen der Gehirnregion des Mandelkerns und dem sympathischen Nervensystem, die in einem blitzschnellen Rückkopplungsprozess über den Hypothalamus die hormonelle Stressachse aktiviert, die ihrerseits dann den Körper auf volle Touren bringt. Die Blockierung, die geradezu schlagartig eintritt, betrifft vermutlich den frontalen und präfrontalen Cortex, der ansonsten bei Situationseinschätzungen und Koordinationen von Handlungsprogrammen dominierend aktiv ist. Diese Blockierung ist ein recht komplexer Vorgang des menschlichen Gehirns, der nicht selten auf einer lebenslangen Lerngeschichte beruht. Ein Hauptkennzeichen dieser Lerngeschichte ist die Vermeidung. Vermieden, ausgeblendet und nicht zur Kenntnis genommen wird – bis zum Ausbrechen der Angstattacke – vor allem Unangenehmes aus der Gegenwart und aus der Vergangenheit, dessen Auftreten mit Angstgefühlen einhergehen könnte. Was das im Einzelnen ist, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Den Betroffenen ist meistens nicht klar, dass die Attacke das späte Ergebnis eines jahrelang aufgebauten Systems von inneren und äußeren Vermeidungsreaktionen ist. Könnte man das Leben eines Menschen von oben betrachten wie einen Stadtplan, so würde man vermutlich entdecken, dass die Panik in dem Moment ausbricht, in dem das „Auto des Lebens“ in eine Sackgasse gefahren ist und nicht mehr weiterkommt. Die ersten Panikattacken haben also eine lange Vorbereitungszeit; sie treten auf, wenn man mit der Kunstfertigkeit des Vermeidens, also den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, an einem Ende angelangt ist. Nicht selten steht im Zentrum des Vermeidungsverhaltens die Angst vor dem Alleinsein, weil das Alleinsein für manche das Fürchterlichste auf der Welt ist, das ihnen gefühlsmäßig widerfahren kann. Um dem Alleinsein auszuweichen, wird vieles in Kauf genommen, wenn es nur weniger unangenehm zu sein verspricht. Hinter jedem Paniksyndrom steht also mindestens ein lebensgeschichtliches Thema, das jahrelang vertagt worden ist.

2. Diagnostik einer Panikstörung

  • Wiederholte Panikanfälle, die oft spontan auftreten und nicht ausschließlich auf eine spezifische Situation, ein spezifisches Objekt, eine reale Gefahr oder besondere Anstrengung bezogen sind.
  • Eine Panikattacke ist eine einzelne Episode intensiver Angst oder extremen Unbehagens. Sie beginnt abrupt, erreicht innerhalb weniger Minuten ein Maximum und dauert mindestens einige Minuten. Es müssen mindestens vier Symptome der folgenden Liste vorhanden sein. Ein Symptom muss dabei aus der Gruppe der ersten vier Symptome stammen:
    1. Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
    2. Schweißausbrüche
    3. Zittern
    4. Mundtrockenheit
    5. Atembeschwerden
    6. Beklemmungsgefühl
    7. Thoraxschmerzen und -missempfindungen
    8. Übelkeit oder Unruhegefühl im Magen
    9. Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
    10. Gefühl, die Objekte sind unwirklich oder man selbst ist weit entfernt oder nicht wirklich hier.
    11. Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“
    12. Angst zu sterben
  • Ausschlusskriterien: Die Panikattacken dürfen nicht Folge einer körperlichen, organischen psychischen Störung oder anderen psychischen Störungen sein.

3. Selbsttherapie ohne psychotherapeutische Unterstützung

Bevor Sie in eine psychotherapeutische Behandlung gehen, kann ein Versuch unternommen werden, sich der Problematik selber zu nähern:

1.) Führen Sie ein Angst-Tagebuch:

Es dienst dazu, Ängste und die Umstände zu erfassen, unter denen Ängste auftreten, und schärft dabei die Selbstbeobachtung. Im Nachhinein wird das Problem oft verzerrt erinnert. Die direkte Erfassung erlaubt die sofortige Eintragung genauer Informationen über die einzelnen Bestandteile des Problemverhaltens, gibt Informationen zu aktuellen Symptomen, Gedanken und Gefühlen sowie zu Merkmalen der Situation. Es stellt auch eine solide Grundlage für den behandelnden Psychotherapeuten dar, falls Sie sich zu einer Therapie entschließen sollten. Typische Fehlinterpretationen von körperlichen Beschwerden sind:

Körperliches Symptom Gedanken / Interpretationen
Brustschmerzen Ich bekomme einen Herzinfarkt
Schwächegefühl Ich werde in Ohnmacht fallen
Benommenheit Ich habe einen Hirntumor
Verschwommenes Sehen Ich bekomme einen Schlaganfall
Würgegefühl Ich ersticke
Kribbeln im Körper Ich werde gelähmt, bin schwer krank
Umwelt oder Körper wirken fremd Ich verliere die Kontrolle über mich
Rasende Gedanken Ich werde verrückt
Alle intensiven Angstsymptome Die Angst bringt mich um

Schreiben Sie alle Ihre Gedanken und Symptome, die Sie bemerken, auf, auch wenn sie auf den ersten Eindruck lächerlich erscheinen.

2.) Begeben Sie sich in angstbesetzte Situationen

Direkte und aktive Konfrontation mit angstauslösenden Reizen und Situationen, die Panik auslösen können, sind förderlich. Nicht weglaufen, sondern hingehen ist die Devise. Hierbei kommt es aber stark auf das „Gewusst-wie“ an. Es macht beispielsweise keinen Sinn, eine Situation eine Zeit lang auszuhalten, um sie dann mit einem Gefühl der Erleichterung und einem „Gott sei Dank, ich kann jetzt wieder gehen“ zu verlassen. Dieser Fehler wird leider allzu häufig gemacht. Es reicht oft auch nicht, dass der rasende Puls runtergeht, vielmehr muss man zu dem Punkt gelangen, an dem man das Gefühl gewinnt, sich seinen Boden zu erobern, auf dem man im weiteren Leben zu stehen gedenkt. Besteht bereits ein starkes Vermeidungsverhalten, empfiehlt es sich, die Situationen gemeinsam mit Freunden oder in der Therapie mit Therapeuten aufzusuchen.

3.) Informieren Sie sich über das Krankheitsbild

Die Erkrankung entsteht durch eine Fehlinterpretation körperlicher Empfindungen oder anderer Angstsymptome als Zeichen drohender Gefahr. Ziel ist, dass Sie Klarheit über die bei Ihnen auftretenden Gedanken und Empfindungen erhalten. Holen Sie über das Internet oder Bücher Informationen zum Thema Panikstörungen ein, damit Sie ein besseres Verständnis hierüber erlangen. Oftmals wird man nach einer Vielzahl somatischer Untersuchungen von Ärzten und Bekannten konfrontiert mit den Worten „Ihnen fehlt nichts“ oder „Sie sind kerngesund“, was in einer starken Diskrepanz zu Ihrem dramatischen Empfinden steht. Obwohl keine organische Erkrankung vorliegt, handelt es sich um ein echtes Krankheitsbild, eine Panikstörung. Das Problem ist mittlerweile hinreichend untersucht und erforscht, und es gibt hervorragende Behandlungskonzepte hierzu.

In den Versuchen der Selbsttherapie sollten Sie sich klar machen, dass Erfolge nicht linear eintreten und Rückschläge zu der Bekämpfung der Symptomatik dazu gehören. Viele Patienten sind auch im Rahmen der Therapie auf der Suche nach etwas, das sie nicht finden können: hundertprozentige Sicherheit (z.B. „Ich werde niemals einen Herzinfarkt bekommen“ oder „Ich werde nicht vor X Jahren sterben“). Der Wunsch ist nachvollziehbar, es sind jedoch weder hundert noch null Prozent Sicherheit angemessen. Es ist Ihre individuelle Entscheidung, für wie viel Sicherheit Sie welchen Aufwand betreiben möchten, wie hoch auch immer der Aufwand wird.

4. Verhaltenstherapie in der psychotherapeutischen Praxis

Diagnostik

Im Rahmen der ersten Gespräche geht es darum, einen allgemeinen Eindruck von dem Betroffenen und seinen Beschwerden zu bekommen. Die Diagnostik erfolgt mit Hilfe von detaillierter Befragung, Tagebüchern und Fragebögen oder Tests zur Vergegenwärtigung bestimmter körperlicher Symptome. Auch sollten, falls noch nicht erfolgt, organische Beschwerden im Vorfeld durch Ihren Internisten abgeklärt werden (z.B. Schilddrüsenerkrankung, Hormonstörung des Nebennierenmarks). Aufgrund dieser Informationen erhält der Therapeut ein genaues Bild über Ihre Ängste und kann die Diagnose „Panikstörung“ stellen. Im Anschluss wird ein Therapieplan entwickelt und mit Ihnen besprochen.

Therapie

Durchführung einer Reihe von Übungen, bei denen Sie neue Erfahrungen mit Ihrer Angst sammeln können, die individuell auf Ihr Krankheitsbild zugeschnitten sind. Zum Ende der Therapie geht es darum, dass Sie die neu gelernten Fähigkeiten in möglichst vielen Situationen alleine ausprobieren.

In der Therapie kommen insbesondere drei Komponenten zum Einsatz:

  1. Konfrontation mit angstauslösenden Reizen
  2. Vermittlung von Erklärungsmodellen für die Panikanfälle / Teufelskreis der Angst
  3. Verhaltensexperimente (Hyperventilation, Kreislaufbelastung, Koffeinkonsum usw.)

Behandlungsdauer

Die Behandlungen erstrecken sich in der Regel über 50 Minuten und werden in Einzeltherapie durchgeführt. Die Anzahl der Sitzungen beträgt im Schnitt 25 Stunden, wobei Treffen in wöchentlichen Abständen oder zu Beginn der Therapie auch zwei Treffen pro Woche sinnvoll erscheinen.

Ein Forum zum Thema Panikstörungen finden Sie hier …

Dr. med. Heike Melzer

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